Natalies_Reisen by Sigrid_Lenz

Natalies_Reisen by Sigrid_Lenz

Autor:Sigrid_Lenz [Sigrid_Lenz]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-26T23:00:00+00:00


Kapitel 10

Natalies Augen waren geschlossen, als sie erwachte. Zumindest dachte sie das. Doch als sie begann, ihre Glieder wieder zu fühlen, als das Kribbeln in ihrem linken Bein ihr anzeigte, dass ein Nerv Gefahr lief einzuschlafen, da begann sie zu blinzeln und stellte fest, dass sich Finsternis über sie gesenkt hatte.

Natalie tastete den Boden ab, auf dem sie lag, fühlte kühlen und harten Holzboden unter sich. Sie stützte sich mit einer Hand auf und zog mit der anderen ihren Rock zurecht. Erst dann drehte sie sich seufzend auf ihre Knie und blinzelte noch einmal in die Dunkelheit.

Keine Spur des blauen Lichtes oder einer anderen Quelle von Helligkeit war zu erkennen. Natalie beschlich für einen Moment ungewohnte und auch ungeklärte Angst. Sie wusste nicht, warum sie sich ausgerechnet jetzt und nur aufgrund der Dunkelheit beunruhigt fühlen sollte, aber es gelang ihr nicht, das Gefühl beiseite zu schieben.

Immer noch mit langsamen und vorsichtigen Bewegungen richtete Natalie sich auf und begann, sich mit kleinen, wackligen Schritten und ausgestreckten Händen voran zu tasten. Sie erwartete gleichermaßen, dass sich vor ihr ein Abgrund auftäte oder dass eine Wand aufragte, gegen die sie schmerzhaft stoßen konnte. Doch nichts dergleichen geschah.

Natalie trippelte weiter. Ihre Hände griffen ins Leere, doch ihre Füße blieben auf festem Boden. Einen scheinbar endlosen Weg legte sie zurück, lauschte in die Stille, in der nur das Klacken ihrer Schuhe zu vernehmen war.

Natalie fühlte, dass sie nervös wurde. Alles was recht war, dafür, um in der Finsternis herumzuirren, bezahlte sie keinen Urlaub. Nicht freiwillig.

Und gerade, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihre Umgebung plötzlich in helles Licht getaucht, hell genug, dass Natalie erschrocken ihre Augen schloss und für einen Moment das Gleichgewicht verlor. Welches sie sofort wiedererlangte, wenn auch nicht vollkommen ohne Hilfe. Natalie fühlte, wie sie schwankte und griff mit beiden Händen erschrocken nach vorne, als sie plötzlich etwas Hartes spürte, an dem sie sich festhielt.

Natalie blinzelte wieder, und als die Helligkeit nicht mehr so stark in ihren Augen brannte, sah sie unter gesenkten Lidern auf ihre Hände, die wiederum zwei ausgestreckte Hände hielten.

Nur dass es sich um keine echten Hände handelte, sondern um leblose Gebilde, um Finger, geschnitzt aus Holz.

Natalies Augen wanderten weiter und sie erschrak, als sie sah, wie die Hand ihr Ende fand, nichts als ein Körperglied wurde, das mit einem weiteren hölzernen Glied durch eine straffe Schnur verbunden war. Die Hand und das fast oval geschnitzte, gelenkgroße Teil führten wieder mit Hilfe einer Schnur verknüpft, in einen braun geschnitzten Unterarm.

Natalie sah zu der anderen Hand, die sie ebenfalls immer noch festhielt, sie beobachtete, wie sich das Weiß ihrer eigenen Finger in die geschnitzten ausgestreckten und grobschlächtigen, unbeweglichen Finger eines Mannes schmiegten, der kein Mann war. Sondern eine Puppe.

Natalie schluckte mühsam und wagte jetzt erst, ihren Blick höher wandern zu lassen. Der hölzerne Unterarm verschwand in einem Ärmel, der sich zu einer Jacke auswuchs. Nun konnte Natalie beobachten, wie die Figur zu zittern begann, sich in seltsam hektischen und von Ferne vertrauten Zuckungen nur geringfügig und doch unzweifelhaft bewegte.



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